„Ich habe meine Menschlichkeit verloren“ Flüchtlinge berichten in der EFG

Von Anna Julich (Jg. 13)
Folter, Flucht, Todesangst. Am Freitag, 25. September, hatten zwei Flüchtlinge die Möglichkeit, ihre Geschichte den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe an der EFG zu erzählen – aus ihrer eigenen Sicht und ohne das Einwirken der Medien. Rodey (23) aus Syrien und Eik (26, geb. in Nigeria) aus Libyen berichteten über ihre unfassbaren und schockierenden Erlebnisse von ihrer Reise in ein neues, besseres Leben.

Nachdem die Schüler einige allgemeine Informationen zur aktuellen Flüchtlingslage in Deutschland und Herne erhalten hatten, begann Rodey mit seiner Geschichte.
Rodey ist Medizinstudent, als er eines Tages plötzlich während einer Vorlesung von der Polizei gefangen genommen wird. Weil er ein einziges Mal friedlich gegen die Regierung und für Freiheit demonstriert hat, wird Rodey für eine Woche mit fünf weiteren Studenten eingesperrt und gefoltert. Er demonstrierte für Freiheit – in Deutschland eine Selbstverständlichkeit.

Während seiner Gefangenschaft verliert Rodey fast alle seine Zähne, er erhält Schnittwunden und Verbrennungen. Mit einer Schere schneidet man ihm die Lippe ein, die Narbe wird er sein Leben lang behalten. Doch damit nicht genug: Man verteilte Wasser auf dem Boden, damit die Gefangenen höchstens in der Hocke schlafen konnten. Wenn man sprach, erhielt man Todesdrohungen, und zwar ernst gemeinte: Rodeys Freund aus der Uni wird vor seinen Augen erschossen.
Rodeys Eltern wissen nicht, wo sich ihr Sohn befindet; der Vater soll umgerechnet 55.000 € zahlen, damit sein Sohn leben darf und frei kommen kann. Als Rodey schließlich vor seiner Mutter steht, erkennt diese ihn wegen der vielen Verletzungen nicht wieder. Der Arzt sagt, er dürfe Rodey nicht behandeln, weil Rodey „ein Helfer des Protests“ sei.

Eine Woche nach den grausamen Geschehnissen entstehen die ersten Pläne für eine Flucht. Da die Polizei Rodeys Pass ungültig gemacht hat, konnte er nicht legal auswandern. Er wandte sich deswegen an einen „Schlepper“. Mit 27 Menschen in einem kleinen Wagen werden die Flüchtlinge in die Türkei gebracht, dort erwarte sie eine Jacht, die sie nach Griechenland bringen soll. Anstelle einer Jacht reisen sie aber mit einem Schlauchboot nach Griechenland. Dort angekommen wird Rodey eine Waffe an den Kopf gehalten: Er soll sagen, wer die Menschen nach Griechenland gebracht hat. Rodey lügt und man glaubt ihm. Von Athen aus nimmt Rodey einen Flug nach „Frankfurt“ – er landet in Frankreich. In Belgien endlich kann er von Freunden nach Deutschland gebracht werden.
Eiks Geschichte ist ebenso unfassbar und traurig. Eik wird in Nigeria geboren, doch schon früh verliert er dort seine Familie. Er entschließt sich, nach Libyen zu gehen, in der Hoffnung auf ein gutes Leben – damals war er noch ein Kind. Kurz nach seiner Ankunft musste Eik für 5 Jahre ins Gefängnis. Danach trifft er auf einen Mann, der von nun an wie ein Vater für ihn ist.

Doch irgendwann suchten ihn Männer auf: Entweder er arbeitet für Gaddafi oder er stirbt. Mit einer Waffe wird er geschlagen, seine Finger werden verkrüppelt. Er weiß, er kann nicht in Libyen bleiben, sein Ziehvater rät ihm nach Italien zu gehen. Auch Eik reist nun mit einem Schlauchboot – von den anfangs 95 Menschen überleben nur 29. Nach sechs Monaten in einem italienischem Asylheim wird Eiks Asylantrag abgelehnt. Von nun an lebt Eik auf der Straße.

Eines Tages spricht ihn eine fremde deutsche Frau an: Sie ist ergriffen von seiner Geschichte, weint mit ihm und schenkt Eik zwei Tage später 200€. Mit dem Geld soll Eik nach Deutschland fliegen. Jetzt ist er schon seit vier Monaten in Herne. Zum Ende der Veranstaltung möchten die jugendlichen Zuhörerinnen und Zuhörer wissen, was die beiden auf ihrer Reise verloren hätten. Die beiden sind sich einig: Verloren haben sie ihre Menschlichkeit und Lebensfreude.

Während den Erzählungen sind bei den Schülern Tränen geflossen. Wir alle waren sprachlos und schockiert. Nun haben die Schüler eine unverfälschte Sicht auf die tatsächliche Flüchtlingslage erhalten und darauf können nun zukünftige Entscheidungen basieren.
Organisiert wurde die Veranstaltung von der SoWi-Lehrerin Aylin Alper; die Schülerin Michelle Zeppmäusel (EF) übersetzte für Eik.

Zwei Menschen, die für Freiheit und gegen ihre Regierung waren, mussten Qualen erleiden und erhoffen sich in Deutschland ein gutes Leben – vielleicht können wir dazu beitragen, ihnen ein solchen Leben zu ermöglichen.