Pressetext nach Erörterung der Eingabe der SV der Erich- Fried- Gesamtschule in Herne im Petitionsausschuss des Landtages am 10.10.2018

Nachdem die Umfrage unter Schüler*innen in NRW zu ihrem Befinden in Schule und ihre erschreckenden Ergebnisse zur Eingabe einer Landtagspetition durch die SV der Erich- Fried- Gesamtschule in Herne geführt hatte, wurde am 10.10. nun eine siebenköpfige SV- Abordnung zur Erörterung zum Petitionsausschuss des Landtages nach Düsseldorf eingeladen – wofür wir sehr dankbar sind!

Neben der SV- Gruppe als Petenten haben neben den Mitgliedern des Petitionsausschusses auch Mitglieder des Landtags- Schulausschusses aus fast allen Fraktionen des Landtages, Mitarbeiter des Ministeriums und schließlich der Angehörige der Bezirksregierung Arnsberg mit erörtert. Hierzu wurde zunächst der SV Gelegenheit gegeben, ausgewählte Ergebnisse ihrer Umfrage darzustellen, dann aber auch weitergehende Schlussfolgerungen und Anregungen für ein viel weitreichenderes Neudenken von „Schule insgesamt“ zu entwickeln. Im weiteren Verlauf haben dann alle Beteiligte ausführlich Gelegenheit gehabt, Stellung zu beziehen zu dem Vorgestellten, was umfangreich wahrgenommen wurde.

Inhaltlich lassen sich die Anregungen und Grundgedanken der Petenten an die Politik wie folgt zusammenfassen:

1) Es tut dringend Not, dass wir uns bewusst werden und entscheiden, ob Schule tatsächlich Menschen- Bildung in einem umfassenden Sinn angehen soll – oder eben nicht ! Warum, so haben wir gefragt, hat in über 75 Jahren Schule in NRW noch nicht eine einzige Landesregierung je den Gedanken gehabt, neben allen Leistungsmessungen auch nur einmal zu fragen, wie es Kindern und Jugendlichen in Schule geht? Ausgehend von der Annahme, dass Leben aktuell in der modernen Gesellschaft ein Leben in einer „Risikogesellschaft“ bedeutet, wie es die Soziologen formulieren (einerseits durch z.B. Globalisierung und Digitalisierung immer mehr Chancen, andererseits aber z.B. auch durch wegbrechende Sicherheiten und die Vielheiten immer größere Scheiterns- Risiken für die Individuen), regen wir an, zu entscheiden, ob Schule tatsächlich gesellschaftliche Gegebenheiten wie Vereinsamungstendenzen, Essstörungstendenzen, Aggressions- und Gewalttendenzen, Tendenzen zur Norm- und Wertorientierungslosigkeit, Suchttendenzen, Tendenzen zu politischem Populismus u.ä. aufgreifen und angehen soll, die von Kindern und Jugendlichen ganz automatisch in Schulen hineingetragen werden. Soll Schule dies tun, weil Kinder und Jugendliche tatsächlich „unser wichtigstes Gut sind“, wie man es allerorten hört, dann muss sie entsprechende systemische und strukturelle Voraussetzungen haben und dazu müsste Schule anders gedacht werden als derzeit.

Während z.B. die Auswertung einer einzigen Lernstandserhebung in einem einzigen Fach in einer einzigen 8. Klasse (neben anderen Leistungsmessungen wie PISA/ PIRLS/ TIMSS/ Lernstandserhebungen, zentralen Prüfungen in verschiedenen Jahrgangsstufen) ca. 130 DIN A4 Seiten Auswertung bedeutet, werden die skizzierten anderen Dinge systemisch zur Zeit gar nicht in Betracht gezogen und – wenn überhaupt – i.d.R. einmal im Schulleben der Schüler*innen an „Projekttagen“ thematisiert. Wenn man tatsächlich Inklusion oder Intergration will, wenn Demokratiefähigkeit, Toleranz, soziales Handeln, Kreativität, Selbstkompetenzen usw. tatsächlich wesentlich sind (und wir glauben, sie sind es !!!), dann – so regen wir an – muss man das Schulsystem so gestalten, dass es die dafür notwendigen Dinge mitdenkt und nicht vorwiegend aus der Sicht der Leistungsoptimierung gesteuert wird!

2) Es tut dringend Not, dass wir systemische Widersprüche im aktuellen Schulsystem beseitigen, damit nicht das gesamte System und/oder einzelne Menschen darin zusammenbrechen! Derzeit , so die These der Petenten, trägt das Schulsystem grundsätzlich noch kaiserliche Züge (ein gegliedertes Berechtigungs- Schulwesen), an das im Laufe der Zeit immer wieder hier oder dort neue Einzelaspekte „drangenagelt“ worden sind, ungeachtet, ob diese zum Grundwesen passten oder nicht. Während der Grundgedanke der Inklusion z.B. ist, dass jedem Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in allen Bereichen zu ermöglichen ist, wobei jeder Mensch als ein vollkommen gleichwertiges Mitglied verstanden und das Vorhandensein von Unterschieden als Bereicherung empfunden wird, ist der Kerngedanke eines leistungsselektiven gegliederten Systems, für Kinder und Jugendliche bestimmte „Stellen“ zu definieren, an denen sie „nicht richtig“ sind. Beide Ansprüche in EINEM Schulsystem zusammen zu bringen führt zu Verwerfungen, die am Ende nicht aufzulösen sind.

Inklusion und Integration führen didaktisch nahezu zwangsläufig zur Notwendigkeit, zu individualisieren: Was, so lautet die zentrale Frage, benötigt der einzelne Schüler in seiner ganz konkreten Lebenssituation? Dieser Grundsatz soll derzeit umgesetzt werden unter gleichzeitig stetig steigenden Vorgaben von Standardisierungen (z.B. dem Drang zu einheitlichen Prüfungsformaten, Leistungsstandards, Outputorientierungen). Auch hier stellen wir die Frage, ob die aus unserer Sicht unauflöslichen Widersprüche zwischen Selektieren und Inkludieren und zwischen Individualisieren und Standardisieren nicht dazu führen, dass gar nicht zu leisten ist, was geleistet werden soll und ob am Ende nicht herauskommt, was unsere Umfrage misst: Menschen an ihren Grenzen.
Unser Vorschlag ist daher, Schule ganz neu und in anderer Sichtweise zum Beispiel unter der Überschrift „Wohlbefinden“ zu denken. Was, so regen wir an zu fragen, benötigten alle vom Schulsystem Betroffenen, um ihr Leben in der demokratischen, sozialen Gesellschaft wohlergehend gelingen lassen zu können – welche Förderungen, Hilfestellungen, Herausforderungen, Unterstützungen bräuchte jedes Kind an welchen Stellen?

Dann wäre die Frage, welche Kompetenzen benötigten die Kinder und Jugendlichen für ihr Leben in Berufen und welche Ansprüche hat die Wirtschaft, ein wichtiges Element von Schule, aber eben nur EINES ! Wir glauben, dass sich – dekliniert man unseren Ansatz logisch weiter nach „unten“ durch – viele der derzeitigen Widersprüche im System auflösen würden. Am Ende sind wir davon überzeugt, dass unser Ansatz allen im Schulsystem befindlichen Menschen sehr viel mehr gerecht werden würde, als dies offensichtlich gerade der Fall ist, und dass Schule dann deutlich stärker mitwirken würde an einer sozialen, toleranten, gerechten, warmen, umweltgerechten, demokratischen Gesellschaft als sie es heute an vielen Stellen kann.

Unser Eindruck in während der Erörterung war, dass man uns aufmerksam zugehört hat, allerdings auch, dass unsere Fragen und Anregungen bei den Mitgliedern der verschiedenen Fraktionen auf unterschiedlich fruchtbaren Boden fielen. Aus einigen Fraktionen hat man uns zugesichert, weiter mit uns im Dialog zu bleiben und unsere Überlegungen mit zu nehmen in das, was schulpolitisch kommt – darüber freuen wir uns sehr! Nach langen 4 Jahren des Eintretens, Arbeitens, Bedenkens und auch Kämpfens sind wir also dort gehört worden, wo wir Gehör finden wollten, dort, wo Schulpolitik gemacht wird. Wir sind losgegangen in der Überzeugung, dass es sich lohnt und mehr als Not tut für viele viele junge Menschen und weil wir hofften und uns wünschten, unser Engagement würde mit ein Startsignal sein für viele, die unsere Sicht teilen. Jetzt wünschen wir uns, wir haben auf unserem Weg am Ende viele offene Ohren, klaren Geiste und warme Herzen erreicht. Ein Zwischenstopp … ein Beginn für Neues …

PIEC