Geschicht hautnah – Bildungsreise der SV nach Prag

Geschichte hautnah erleben 2007 Schülerinnen und Schüler der EFG bei den offenen Bildungs- und Gedenkstättenfahrten. Diese mehrtägigen Reisen werden von der SV organisiert und bringen den Jugendlichen neben anderem die Zeit des Nationalsozialismus und der Konzentrationslager in Europa nahe. Die diesjährige Fahrt führte 22 Schülerinnen und Schüler der Oberstufe, vom 20. bis 24. April 2015 in das ehemalige Ghetto Theresienstadt und nach Prag. Begleitet wurde die Gruppe von den Lehrern Carsten Piechnik und Kathrin van Hoften.

Hier ein Bericht von Tabea Morzeck:
Nachdem wir am Montag nach unserer Ankunft im Botel „Admiral“ auf der Moldau einen ruhigen Abend mit Rundgängen in der Prager Altstadt verbrachten, begann am Dienstag unser erster Programmpunkt: Die Besichtigung von Theresienstadt, rund 60 Kilometer von der tschechischen Hauptstadt entfernt. Theresienstadt ist ein ehemaliges Ghetto aus der Zeit des Nationalsozialismus. Geleitet von der jungen Mitarbeiterin der Gedenkstätte Theresienstadt, Annika Dix, bekamen wir einen genaueren Einblick in das Leben in einem der Ghettos im damals so genannten Protektorat Böhmen und Mähren. Das Ghetto hat einen symmetrischen Aufbau.

Das bedeutet: Egal an welcher Kreuzung man steht und die Straßen hinunter schaut, überall sind die Stadtmauern zu sehen. Für die Nazis bedeutete diese Architektur bessere Kontrolle der Bewohner des Ghettos. In Theresienstadt befinden sich zudem noch viele ehemalige Kinderheime, in denen jüdische und nicht-jüdische Kinder aus Städten der Umgebung untergebracht wurden. In einem der ehemaligen Jungen-Heime befindet sich heute ein Museum über das Leben im Kinderheim. Gezeigt werden die originalen Koffer, die die Menschen bei der Deportation mit hatten, originale Transport- Personenlisten an den Wänden und Bilder der kleinen Kinder, von denen viele ihr Leben in den Konzentrationslagern verloren.

Nach einem Mittagessen in der örtlichen Diakonie begaben sich die meisten von uns mit den Lehrern auf den Weg zur Besichtigung der Kleinen Festung, einem Gestapo-Gefängnis des dritten Reiches. Fünf von uns blieben mit Annika Dix zu einem Workshop vor Ort, in dem wir uns mit den Einzelschicksalen von Personen befassten, die in Theresienstadt gewesen sind. Nach dem erneuten Treffen am Museum traten wir dann den Heimweg an.

Der Mittwoch startete mit einer etwas weiteren Reise. Wir besuchten gemeinsam mit Annika und dem sehr versierten Guide Karel Rozec das kleine Dorf Lidice, beziehungsweise das ehemalige Dorf Lidice. Der Ort wurde als Racheakt der Nazis nach dem Attentat auf den „Stellvertretenden Reichsprotektor“ Heydrich komplett ausgelöscht, die Männer des Dorfes wurden erschossen und Frauen und Kinder abtransportiert. Das Dorf wurde niedergebrannt. Heute stehen dort nur noch einige wenige Grundmauern. Dort trafen wir zuerst in der Galerie von Lidice die Zeitzeugin Marie Supiková. Sie lebte als kleines Mädchen in Lidice und berichtete uns auf tschechisch (Karel übersetzte) ihre herzergreifende und emotional anrührende Geschichte, an deren Ende den meisten von uns die Tränen kamen. Bei der Besichtigung des Museums wurden wir mit Bildern und Ausstellungsstücken konfrontiert, die uns den Atem anhalten ließen. Blutige Kleidung, Bilder der erschossenen Männer in Lidice, Videoaufnahmen der Zerstörung von Lidice, dazu erklärende Texte an den Wänden.

Anschließend verließen wir das Museum und gingen durch das alte Lidice, von dem nur noch die Grundmauern der Kirche, der alten Schule und eines alten Hofes stehen. Mit Karel, der uns über das ehemalige Lidice berichtete, sahen wir das Massengrab der erschossenen Männer, die Überreste der Gebäude und ein beeindruckendes Kunstwerk an. 82 Kinderstatuen, versammelt wie zu einem Klassenfoto. Sie zeigen die Kinder aus Lidice, die von den Nazis auf grausame Weise vergast wurden und starben. Angefertigt anhand von Schulfotos zum Gedenken an die Kinder, die die Katastrophe von Lidice nicht überlebten. Von den Kindern, die abtransportiert wurden, kehrten nur sieben wieder in ihre alte Heimat zurück.

An unserem letzten Tag blieben wir in Prag und erkundeten das ehemalige jüdische Viertel von Prag, genauer gesagt drei der wichtigsten Synagogen in der tschechischen Hauptstadt. Zuächst gingen wir zur Pinkas-Synagoge, deren Wände die Namen von allen rund 270.000 getöteten tschechischen Juden zeigen. Danach besuchte wir den Alten Jüdischen Friedhof, auf dem der berühmte Wunder-Rabbiner Rabbi Löw (der Schöpfer der legendären Lehmfigur „Gollem“) bestattet wurde. Unser Weg führte uns auch zur Altneu-Synagoge, der ältesten unzerstört erhaltenen Synagoge Europas.

Die Spanischen Synagoge war die prachtvollsten Synagoge unserer Besichtigungstour. Nach dem Mittagessen trafen wir unsere letzte Zeitzeugin, Dr. Michaela Vidláková. Sie erzählte uns auf deutsch von ihrem Leben als Kind im Ghetto Theresienstadt und wie sie mit ihren Eltern zweimal knapp dem Abtransport ins Konzentrationslager entkommen war. Frau Vidláková beantwortete all unsere vielen Fragen und berichtete auch von Erlebnissen, die Freunde von ihr in Auschwitz gesammelt hatten. Mithilfe einer kleinen Power Point- Präsentation wurden ihre Erzählungen noch lebhafter für manche von uns. Nach unserer Rückkehr ins Botel traten wir gegen 21 Uhr unseren Rückweg an und trafen gegen halb 8 am Freitagmorgen wieder in Herne ein.

Persönliches Fazit:
Die diesjährige SV-Fahrt brachte mir viele Eindrücke, die ich in meinem Leben nie wieder vergessen werde. Das Gesehene und Gehörte hat mir Einblicke in die Zeit des Nationalsozialismus geschenkt, die mich bis ins Mark erschütterten und mir den Atem nahmen. Die entspannten Abende mit Spaziergängen und Einkaufstouren durch Prag nahmen der Fahrt ein wenig ihren Ernst und gaben allen nach diesen wirklich schweren Programmpunkten ein wenig Luft zum Runterkommen. Die Gespräche mit den Zeitzeugen waren eine Erfahrung, über die ich sehr glücklich bin, dass ich sie noch sammeln durfte. Ich finde es sehr wichtig, dass wir solche Fahrten machen, damit wir nicht vergessen. Dr. Vidláková legte uns am Ende ihrer Erzählungen ans Herz, niemals jemandem so blind und fanatisch zu folgen, wie die Menschen damals Hitler folgten. Und ich finde, durch solche Erzählungen, Besichtigungen und Eindrücke, die wir auf diesen Fahrten sammeln, wird diese schreckliche Zeit so schnell nicht mehr unsere Köpfe verlassen und ich hoffe, dass wir durch diese Fahrten etwas dazu beitragen, um so etwas in der Zukunft zu verhindern.

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